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HYSTERIE

HYSTERIE

III 211.4ff
Es ist die Übertreibung oder auch umgekehrt das Ver­neinen und Nichtwahr­habenwollen eines krank­haften Zustandes. Das erste ist häufiger zu finden, der Arzt spricht dann von Hysterie oder Hypochondrie. Beides ist wohl dasselbe, nur hat man die Begriffe für die Ge­schlechter ver­schieden gewählt, weil man nicht wahr­haben wollte, dass ein Mann solchen Regungen genauso ausgesetzt ist wie eine Frau.
Hysterie galt lange Zeit nicht eigentlich als eine Krank­heit, obwohl sie oft ganz natürli­che und verständliche, ja verzeihliche Ursa­chen hat, sondern vielmehr als eine Unart, die vor allem auf Unbeherrschtheit und Mangel an Selbstkritik und -disziplin zurückgeführt wurde.
Ich brauche nicht zu betonen, dass die moderne Wissen­schaft ihre Ansicht wesentlich geän­dert hat, aber im Volksmund ist der Hypochon­der und die Hysterikerin immer noch mit einem Odium behaftet und als ein Mensch betrachtet, der entweder schwächlich oder arbeitsscheu und minderwertig die Flucht in die Krank­heit er­greift, um das Mitleid der Umwelt zu erre­gen, anstatt seine Energie und seinen Willen ein­zusetzen, um ein unerreichbar scheinendes Ziel zu erreichen.
Es gibt keine Krankheit, die ihre Ursache im freien Willen hat, denn das würde dem Sinn des Lebens widersprechen.
Es müssen also andere Ursachen gegeben sein, die zu einem solchen Verhalten Anlass geben.
Die meisten Menschen fühlen sich im Zustand eines Leidens von der Umwelt ausgeschieden und sind der Meinung, dass sie nicht in die Gesellschaft Eingang finden können wie ein Gesunder. Das ist richtig und trifft auch weitgehend zu. Um aber für diesen Ausschluss eine Entschuldigung vor seinem eigenen Gewis­sen zu haben, werden das Leiden oder die krankhaften Zustände übertrieben und schlim­mer hingestellt, als es nötig wäre. Autosug­gestion hat aber bekanntlich einen sehr starken Einfluss auf den ganzen Organismus, auf Geist und Seele, so dass es möglich ist, durch Gedankenarbeit einen Zustand zu ver­schlechtern, ja sogar erst zu begründen. Das kann so weit gehen, dass der Mensch sich selbst Nahrung ver­sagt, nicht essen kann und solche organi­schen Störungen herbeiführt, dass der körperliche Haus­halt völlig in Unordnung gerät. Ist nun ein Organ schwach und wider­standslos, so kann eine ernste Störung ein­treten und schwerste Folgen nach sich ziehen.
Umgekehrt ist Autosuggestion der beste Helfer bei der Heilung einer Krankheit und ohne sie der Weg zu einer Genesung lang und schwer.
So wie sich der Mensch in einen Gedankengang ver­bohren und nicht locker lassen kann, bis er die Lösung eines Problems gefunden hat, so lässt mancher Patient nicht locker, bis er am Abgrund steht und nur aus Angst vor dem Tod die Umkehr vorzieht. Arme, bedauerns­werte Menschen sind es meist, die mit solchem Leiden belastet sind, und es bedarf einer sehr güti­gen und vorsichtigen Behandlung mit unendli­cher Geduld, will man Heilung erreichen.
Oft ist ein Patient der Meinung, dass er über­treiben müsse, weil man sonst seinen Worten nicht genügend Glauben schenkt und ihn am Ende für einen Schwindler hält.
Die Motive sind sehr verschieden und ihre Erfor­schung der Anfang jeder Behandlung.
Es gibt kaum einen Patienten, der das richtige Urteil über seinen Zustand bildet, des­halb sind Erklärun­gen und Erzählungen - wie ich schon einmal sagte - sehr mit Vorsicht aufzunehmen. Wenn man nur das Bestreben erkennt, nur die Wahrheit über seinen Zustand sagen zu wollen, dann ist schon ein gutes Stück Weges gewonnen. Man muss dann den Patien­ten nur zu ruhiger Beobach­tung und mässiger Kritik veranlassen und wird eine Zu­sammen­arbeit auf dem Weg zur Heilung gewinnen, die nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Anders bei einem Menschen, der glaubt, aus irgend­einem Grund, oft ganz unbewusst, sich selbst belügen zu müssen. Er wird es dem Arzt nicht leicht machen, die Ursachen zu finden und die Wirkungen richtig zu beurteilen. Mancher wird ein Bedauern darüber zum Aus­druck bringen, dass er eine Aufgabe, die er sich vorgenommen habe, nicht erfüllen könne; in Wirklich­keit ist es aber gerade diese Aufgabe, die er fliehen will und vor der er zurückschreckt, weil er sich ihr nicht ge­wachsen sieht. Die Krankheit ist dann die beste Ausrede, denn er hat sie nicht selbst verursacht und ist für sein Versagen gerecht­fertigt.
Soll er aber vor sich selbst gerechtfertigt sein, so muss er sich ernstlich krank fühlen. Die ersten Störungen, die solcherart auf­treten, sind meist Kreislauf­störungen ge­folgt von Ohnmachtsanfällen und einem Ver­sagen des Nervensystems, das die Einflüsse auf den Körper nicht mehr in normaler Weise registriert. Die Atmung gerät in Unregelmä­ssigkeit, damit wird auch die Tätigkeit des Herzens gestört. Muss sich ein solcherart Kranker nicht schwer krank fühlen? Und bedarf er nicht genauso der Güte und Fürsorge wie ein Patient, der durch mechani­sche Einflüsse ähnliche oder gleiche Störungen aufweist? Es ist keine Frage, der Unterschied liegt nur darin, dass der eine bereits kranke Organe aufzuweisen hat, der andere aber jeder klini­schen Untersuchung standhält, trotzdem aber ein gestörter Rhythmus in der Tätigkeit der Organe vorliegt. Nehmt solche Leiden nicht leicht und tut sie nicht einfach damit ab, dass der Patient ein gern eingebildeter Kran­ker ist. Er ist oft ärmer als ein anderer, weil er aus der seelischen Verkrampfung und geistigen Sackgasse nicht herausfindet.
Ich kann hier nicht ein Allheilmittel für solche Leiden verraten. Es ist nicht mit Medikamenten in seinen Ursachen zu bekämpfen. Medikamente können gleich­zeitig mit der Erforschung der Ursachen als Beruhi­gungs­mittel soweit verabreicht werden, dass zwar Schmerzen behoben, nicht aber die geistige Tätigkeit behindert und eingeschränkt wird. Auf diese muss Einfluss genommen werden. Der Patient muss langsam lernen, von seiner Krank­heit oder dem vermeintlich krankhaften Zu­stand wegzudenken. Ablenkung durch gute Lektüre, leichte Arbeit und wenn möglich Spazier­gänge in frischer Luft sind die besten Methoden, um einen Menschen ins normale Leben zurückzuführen. Die Kräfte nehmen zu, der Wunsch nach Arbeit und Lei­stung wird von Tag zu Tag grösser. Nicht aber von Betäubungs­mitteln und übertriebener Ruhe. Fällt auch anfänglich die Einschaltung ins normale Leben schwer, so wird der kleinste Erfolg einen Auf­trieb geben und den Lebenswillen mobili­sieren, so dass es keiner grossen Anstrengung bedarf, das Überstandene zu vergessen. Mit Güte und Liebe und menschlichem Verstehen, Verzeihen für alle Schwächen und Verfehlun­gen, die oft die Ursache dafür sind, dass der Mensch den Ausweg in eine Krankheit sucht, die in keinem Zusammenhang mit diesen steht.



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Verwendete Textstellen aus Mediale Schriften, Dr. Karl Nowotny, Band I-VI

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III 211.4ff

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